Willi Volka
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Belichtet / Objektiviert .  .  .

 Herbstlaub

       Mit der Zeitumstellung breitete die Felsenbirne über Nacht einen bunten Teppich auf unsere Terrasse (1). Im ersten Schritt hieß es, die Blätter zusammenfegen (2). Unsere Gartenzwerge mögen sich über den Laub Berg gewundert haben, bevor er in den Säcken verschwand (3).
       Der rechte Zwerg ist von uns Erich „getauft“ worden. Dies geschah am 40.  Jahrestag der ehemaligen DDR (1989), als Erich Honecker beim Vorbeimarsch der Ehrenparade seinen Arm stetig zum Gruß erhoben hatte.
       Wir konnten damals das DDR-Fernsehen empfangen und die Direktübertragung der Parade verfolgen. Ich ließ an dem Samstagnachmittag den Fernseher vor sich hinlaufen, ging vom Garten immer wieder ins Zimmer nachzusehen, ob der „Standhafte“ noch immer Haltung zeigte. Wie lange der “Noch-Staatschef“ so grüßend ausharrte, kann ich heute nicht mehr sagen. Wer ahnte damals schon, dass dies ein ausgedehntes Abschiedswinken sein würde …

                                                                                      © Willi Volka

  Portraits


      Die nigerianische Maske hängt als Wandschmuck im Wohnzimmer. Das Affengesicht wird in einem Schaufenster gezeigt. Letzteres weckt Assoziationen an Magrit im Frankfurter Zoo, die älteste Menschenäffin mit Zooschicksal. Sie ist im Januar 2023 mit 70 Jahren verstorben und hinterlässt eine Bonobodynastie von 84 Nachkommen.
        Ein Blick auf ein Portrait eines Menschenaffen berührt mich immer wieder. Die Augen scheinen zu sprechen, haben Ausdruck. Der Ausdruck ist nicht der irgendeines Gesichtes, sondern erinnert daran, dass wir Menschprimaten ein 98,7 %es identisches Erbgut in uns tragen. Kaum auszumalen welche Art von Portrait-Produkten „KI-Künstler“ produzieren werden.
        Beide Werke entstammen dem Gestaltungswillen eines Menschen. Die „Affenkünstlerin“ will einen Anblick fangen und realistisch wiedergeben, der afrikanische Schnitzer hat einen spirituellen Hintergrund, abstrahiert.
        Von der nigerianischen Kultur weit entfernt, weiß ich nicht, was für eine Gesinnung hinter der Entstehung liegt. Bekommt man Ehrfurcht, wenn man liest, dass aus Sicht Einheimischer in Bäumen Geister wohnen und unter besonderen Ritualen die Bäume gefällt werden, bevor aus dem Holz eine Maske geschnitzt wird? Wie brutal ist dagegen eine mit Harvester durchgeführte Baumernte in (Ur-)Wäldern?
         Was veranlasst Menschen Gesichtsmasken zu gestalten, die gleichermaßen einen Ausdruck in sich tragen? Dienen sie einem Ritual, einem religiösen Brauch, einem Fruchtbarkeitskult oder dem Schutz vor bösen Geistern oder Krankheiten. Liegt ihr eine Mythologie zu Grunde, wie etwa die des Yoruba.
         Wir hängen uns derlei als Schmuck an die Wände, weil wir spüren, dass in diesen Gesichtern ein geheimnisvoller Hintergrund existiert, den wir von außen erahnen nicht verstehen und uns dennoch anspricht. Der untere Teil der Maske mag an einen Affen erinnern, der obere an jemanden der der seine Augen gedeckt hält, nicht zu viel verraten will und sich die Welt vielleicht mit Skepsis betrachtet. So trägt die Maske in sich eine starke Spannung.
         Die Rückgabe von Kunst- und Kultgegenständeaus afrikanischen Ländern ist derzeit ein Debattenthema. Nicht die Forderung der Rückgabe ist das Erschreckende, sondern die verdrängte Kolonialgeschichte z.B. zu Nigeria. Wie etwa der Völkermord 1904 - 08 im deutschen „Schutzgebiet“ an den aufständischen Ovahereros, wo 80 % von ihnen ermordet wurden. Die „zivilisierte“ Regierung sah sich im Recht, über die „primitiven Völker“ zu herrschen, erstrecht, wenn sie sich wehrten. Dies war blanker Rassismus, der in Teilen der weißen Bevölkerung bis heute verfestigt ist. Die moralische und politische Schuld reicht bis in unsere Gegenwart.
          Auch wenn die nigerianische Maske rechtmäßig im Land erworben wurde, so bleibt sie ein Werkstück, das nicht wertfrei eine Wand dekoriert. Sie trägt kulturelle Erinnerung, wie so vieles, wie Magrit mit ihrem Zooschicksal. Kunst steht im Kontext zur jeweiligen Zeit und darüber hinaus.
                                                                                              © Willi Volka

Winter ade. Nachtfrost tut nicht lange mehr weh …




Im Regenmesser hatte sich Wasser gesammelt, das über Nach gefror. Die Morgensonne löste das Eis im Sammeltrichter. Beim Leeren des Gefäßes fiel es auf den Rasen. Ein Stab des Trichters hatte die Mitte frei gelassen. Spontan legte ich den glitzernden Eiskegel so, dass ein Gänseblümchen in der eisfreien Mitte sichtbar blieb. Nach gut 3 Stunden lag nur noch ein Eiskragen um die Blüte. Die Frühlingssonne wärmte und ließ binnen einer weiteren Stunde das Schmelzwasser im Rasen versickern.
                                                                                                 
© Willi Volka


Wenn um Mitternacht das Zeitzeichen ertönt, die Raketen leuchten und am Himmel knistern, du im Corona-Lockdown mit dem Partner oder der Familie auf ein besseres neues Jahr anstößt, wächst Besinnlichkeit. Was war denn bisher mit Hoffnung verbunden? Der Januskopf erhebt sich mit Doppelgesicht, wo eines zurück und eines nach vorne schaut.

Wie oft habe ich der Neujahrsnacht Vorsätze gefasst: Weniger Süßigkeiten, weniger Rauchen, damit gar aufhören, weniger Alkohol. Die Alkoholabsage verliert sich schon in der Feierlaune der Silvesternacht. Diese Flasche zählt noch nicht. Fernsehkonsum reduzieren, die Computerzeit begrenzen, mit Spielen aussetzen u.v.a. Ach, was solls, es kommt ja die Fastenzeit. Ist das relevant, wenn man aus der Kirche ausgetreten ist?

Hattest du aus der Erfahrung vergangener Jahre heraus nicht die Vergeblichkeit von Vorsätzen erlebt? Wie schnell gesetzte Tabus im Ernstfall durch ein zu grobmaschiges Gewissen purzeln.

Corona hat uns auf uns selbst zurückgeworfen. Corona im Mutieren verschenkt Zeit für Zeit. Das Jahr hat 365 Tage, die auserkorene Absichten zu verlieren. Aber eine Frage bleib: Wirst du die Regeln durch den verlängerten Lockdown einhalten oder heimlich darauf pfeifen? Ringst du im Unterbewusstsein nicht mit Angst, mich kanns erwischen? Das Gehirn knistert. Wider- und durchstehen! Dem Rückschaugesicht eine Augenbinde verpassen. Nach vorne mit Impfhoffnung schauen ...

                                                                                                                  © Willi Volka



(5) Ihr Zwinkern

Sie zwinkert mir spitzbübisch zu. Ich richte mich auf, atme erstaunt durch. Wie kommt sie dazu. Schon ist sie vorbei. Ihr fixierender Blick überraschte. Habe sie nie gesehen. Solche Aufmerksamkeit vergisst man nicht so schnell. Sie setzt sich fest. Ihre blauen Augen, ihr rotblonder Pferdeschwanz, ihr federnder Gang. Ich kenne sie doch gar nicht. Sie mich?

Sitze ich in meinem Arbeitszimmer am Computer, sehe ich durch die Scheibe die Leute, die auf dem Gehweg vorbeikommen oder Vögel auf dem gegenüberliegenden Zaun. Da ist eine Nachbarin, die oft mit dem gefüllten Einkaufswagen vom nahen Supermarkt vorbeizieht, mich keines Blickes würdigt. Fairerweise merke ich an, dass sie ihn leer wieder zurückrollt. Manchmal kommt ein Trupp Kindergartenkinder mit ihren Betreuerinnen vorbei. Die meisten Kleinen stapfen brav in Reihe, einzelne Versuchen mal eine Blume zu pflücken, werden, wenn es bemerkt wird, daran gehindert. Andere zuckeln verträumt vor sich hin. Da sind Blondköpfe, Lockige, ein Dunkelhäutiger und tief Schwarzhaarige mit asiatischen Gesichtszügen. Wer vorbeigeht, blickt nicht herein, geschweige denn lächelt.

Letzteres habe ich fast vergessen, bis schon bald wieder der Pferdeschwanz wippt, mich mit Augenblau anerkennend anblickt. Wieso schaut sie so?

Anderentags gehe ich vor dem Fenster meines Arbeitszimmers vorbei, werfe, oder besser, ich wollte einen Blick hineinwerfen. Ein Spiegelbild starrt mich an. Da dämmert’s: Eingebildeter Lackaffe …                                                                                                                                                                                                                                                                   © Willi Volka

(4) Schlüssel vermisst

Sie fasste in die Manteltasche und tastete nach dem Schlüssel. Sir fuhr in die andere. Scheiße. Das ist der Autoschlüssel. Sie stand vor der Wohnungstür. Klingelte. Nutzlos. Hätte ja sein können. Sie hörte ein Geräusch. Hinter ihr stand Nachbarin Grossfeld. Zufall? War sie nur neugierig?

„Ach, schön, dass ich sie treffe. Zu blöd. Ich finde meinen Wohnungsschlüssel nicht. Können sie mir den Ersatzschlüssel … „Nein, doch ...“

Vor kurzem war ein Einbruch im Haus. Die Polizei hatte empfohlen sicherere Schlösser einzubauen. Und nun? Warten bis die Tochter nach Hause kommt? Nach dem Schlüssel fahnden. Aber wo?

     „Kommen sie rein, ich mache uns einen Kaffee“, sagte Frau Grossfeld . Wir setzten uns an den Küchentisch.  

„Ach, wir hatten unsere Diamantene geplant. Aber da ist mein Mann plötzlich zusammengebrochen“, sagte sie und weinte.

 Ihre Welt, meine Welt. Sie hat so klare blaue Augen. Jetzt wohnen wir vielleicht drei Jahre Abschluss an Abschluss und wissen fast nichts voneinander. „Wie traurig“ und sie nahm die Nachbarin in die Arme. Was ist da mein verlorener Schlüssel?  

„Morgen wäre sein Geburtstag.“

„Das Wasser kocht.“

Frau Grossfeld steht nun auf. Das kann ja heiter werden.

Morgen werde Ich ihr einen dicken Blumenstrauß bringen ...                                                                                                                                                                           © Willi Volka


(3) Davongekommen

Ich trieb auf einer Luftmatratze. Die blaue Seite oben, die rote unten. Sie schaukelte mich Wellenberg und Wellental über. Abwechselnde Schräglagen, kopf-hoch, kopf-tief, links- oder rechtslastig, waren zu überstehen. Dabei klebte ich fest auf der Matte. Angst lag mir fern. Trug eine Welle höher, sah ich, soweit das Auge reichte, weder Land noch Schiff. Das Schaukeln in der Weite war ein wiegendes Spiel, hätte nicht stäubender Gischt bei mir Frösteln ausgelöst.

Und dann das – als ob der über mir niedergehende Wasserstaub nicht genug schauderte. Der pralle Gummikörper verlor an Spannung, gab nach. Ich sackte in eine schwimmende Badewanne. Hilfe. SOS. Steinschwere Angst ließ tiefer sinken.

Da tauchte neben mir ein Kugelkopf auf, stachelig wie ein Morgenstern, stoppelig wie eine Seemine – ein breites Maul riss auf, baute sich zu einem übergroßen Gespenst namens Covid-19 auf. Mit Knall fielen Kiefer aufeinander, bissen knapp daneben. Auge in Auge mit der Stachelkugel.

Ein Blitz lichterte. Der Himmel hallte. Wie erleichtert war ich, auf meiner Bettmatratze aufzuwachen. Die Bettdecke war zur Seite gerutscht. Das geöffnete Fenster schlug im Wind. Fasste den Griff und verriegelte. Draußen rauschte Regen. Blitze und Donnern verebbten. Nacht umfing mich..                                                                                                                                                                                                                                                 © Willi Volka

(2) Die Narzisse

Eine braune Mönchskutte schwebt vor mir her. Die Kapuze umhüllt den Kopf. Ich folge ihr auf einer wenig beleuchteten Kellertreppe, bis sie vor einer Tür innehält. Nach einer Handbewegung flutet Helle aus einem Raum. Eine Wandseite, bunt vom Schwarz über das Spektrum eines Regenbogens bis ins Weiß, leuchtet. Eine spitze Nase dreht sich mir zu. Abgrundtiefe wasserblaue Augen bannen mich. Ihnen ist nicht zu entkommen. Wie die Gestalt mir den Rücken zukehrt, zieht sie aus der Farbskala einen gelben Ordner, klemmt ihn sich unter den Arm, kommt mir bedenklich nahe, setzt sich an ein Pult und blättert darin.

„Ah, Franz wie Frühling, Gunter wie gelb und Nass, wie Narzisse“, murmelt es. Wieso kennt er meinen Namen?

„Wenn immer eine Narzisse sich dir überraschend blühend zeigt, darfst du etwas wünschen.

Ein Blumenladen oder ein mit Osterglocken bepflanzter Vorgarten zählt nicht als Überraschung.“

Abseits eines Waldweges leuchtet mir eine Einzelblüte im Strahl einer Sonne. Schnell ein Wunsch äußern, sternschnuppenkurz. Corona ade, gesund bleiben.

Wie ich die Augen aufschlage, flutet gelbliches Laternenlicht auf gemaserte Schranktüren. Stehe auf, mir wird klar: Vorbei die Chance auf einen Wintergarten, zu einem gefüllten Bankkonto!

Sind Träume Schäume?                                                        © Willi Volka

(01) Wandel

Das Projekt Speicherstadt in Hamburg zählt bei uns mit zu den bekanntesten Vorhaben der Umstrukturierung. Die dynamische Gegenwart drückt auch abgelegenen Hafenstädten ihren Stempel auf. Etwa, wenn an einem Kanal eine „Marina“ gebaut, ein Hafenbecken für kleinere Yachten angelegt, weiße Kuben am Ufer, im Baustil der Zeit entstehen und zur Wasserseite eine Promenade gestaltet wird. Ein aus der Zeit gefallener Hochbau, ein Speicher aus den 30er Jahren, mit nüchterner Fassade aus Beton und Ziegeln ist ein Fremdkörper neben den Neuanlagen. Dem Verfall überlassen, ohne ökonomische Bedeutung, gibt er ein Gefahrenmoment ab, ist ein Entwicklungshemmschuh. Das zweithöchste Gebäude neben dem Kirchturm hatte den Rang eines Wahrzeichens.

Manche Bürger erregten sich bei dem Gemeindevorschlag, das Bauwerk abzureißen. Ein Geschichtsforscher eilt zu Hilfe. Eine Unterschriftenaktion kommt ins Rollen. Eine Graswurzelbewegung macht die Frage „remain“ oder „exit“ zum Stadtgespräch. Umsonst. Am Ende stimmt eine Mehrheit gegen den Erhalt.

Ohnmächtig schauen die Remainer zu, wie Bagger und Abrissbirne ihr Werk in Szene setzen. Wochenlang poltern und rasseln die Maschine, schreddern das Vergangenheitszeugnis. Inzwischen ist Rasen aufgegangen. Für die kommenden Generationen ankert das Bauwerk nicht mehr im kollektiven Gedächtnis. Die Gegenwart schluckt munter Vergangenheit, baut Zukunft. Nicht jeder findet einen Weg zu einer „Elbphilharmonie“.